Evangelische Johanniter-Schulen Wriezen

Andachten

Andacht und Morgenstation

Jede Woche findet in unserer Schule eine Andacht statt, am Freitag zum Ausklang unserer fünf Arbeitstage, oder zu besonderen Anlässen wie dem Beginn der Projektwoche oder dem Beginn der Ferien auch wahlweise an anderen Wochentagen.

Bewusst haben sich die Pädagogen des Evangelischen Johanniter-Gymnasiums für diese Form gelebter und ritueller Religion entschieden, um der christlichen Grundgeste ihrer Schule auch in der Wochengestaltung für die versammelte Schulgemeinschaft Raum zu geben. Begrüßung und Votum, Tagesgebet und Psalm-Lesung, Predigt und Fürbitten, Vaterunser und Segnung – die Andacht erlaubt jede Woche die Erprobung geistlicher Formen und Inhalte.

Klassenintern bietet wiederum die sogenannte Morgenstation Gelegenheit, religiöse und damit lebenspraktische und menschheitsgeschichtliche Themen mit den Schülern zu bewegen. Allmorgendlich werden darum 10 Minuten der ersten Unterrichtseinheit verschiedensten Facetten menschlicher Grundfragen gewidmet. Mal wird eine Erzählung in den Mittelpunkt des Interesses gestellt, dann wieder eine wahre Geschichte, die die Gemüter bewegt, eine Bibelstelle, die erst ins Heute übersetzt sein will, eine Redewendung, die zur Reflexion einlädt oder ein Lied, das anspricht und die Menschen verbindet.

Während die Morgenstation meist von den Unterrichtenden vorbereitet und im Anschluss von der Klasse diskutiert wird, liegt die Vorbereitung der Andachten mal in den Händen einer einzelnen Klasse, die den Liedern, den Fürbitten und dem Predigttext ihr eigenes Gepräge gibt, oder in den Händen einzelner Lehrer, die in unterschiedlichster Konstellation biblische sowie alltägliche Problemstellungen schülernah zu vermitteln suchen. Mittlerweile ist das wöchentliche Halten einer Andacht nun schon zu einer liebgewordenen Gewohnheit geworden, die allerdings immer wieder die Herausforderung in sich birgt, die Brücke zu den Schülern und den sie bewegenden Themen – seien sie verborgen oder offensichtlich – trotz der vorgegebenen liturgischen Form jedes Mal neu zu entwerfen.

Thematische Andachtsgestaltung

Als Beispiel dafür, wie eine Andacht inhaltlich ausgestaltet sein kann, mag die Ansprache stehen, die zum Beginn des Schuljahres 2023/2024 gehalten wurde.

Worte auf der Schulandacht der Evangelischen Johanniter-Schulen Wriezen zum Schuljahresbeginn 2023/2024 (01.09.2023) von Dr. Martin Jenssen

Wir feiern unsere heutige Andacht im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Liebe Schulgemeinde,

Frau Prager und ich haben gestern überlegt, wie wir diese Andacht gestalten und worüber man zum Schuljahresbeginn nachdenken könnte: nun hat ja jeder Sonntag im Kirchenjahr seine besondere Bedeutung, und dazu gibt es einen Wochenspruch aus der Bibel. Dann gibt es eine Jahreslosung, einen Monatsspruch, und auch für jeden Tag gibt es einen Bibelvers, die sogenannte Herrnhuter Losung, und dazu einen weiteren Bibelspruch, den sogenannten Lehrtext. Ziemlich viele Bibelverse, die uns in den Alltag begleiten sollen. 

Ich habe mich schließlich für die Jahreslosung entschieden und mache damit aus der Jahreslosung kurzerhand einfach eine Schuljahreslosung. Denn über die Jahreslosung wird meistens in den ersten Tagen des Kalenderjahres überall gesprochen und gepredigt und geschrieben – ich erinnere mich an eine Schulandacht zur Jahreslosung von Frau Prager im Januar und an eine Andacht von Frau Hollitzer auf der ersten Schulkonferenz, ebenfalls im Januar. Aber dann hört man meistens das ganze Jahr über gar nichts mehr von der Losung. Und so verwundert es auch nicht, dass wir diese Jahreslosung schnell vergessen, im September kennt sie häufig keiner mehr. Oder gibt es jemanden von euch, der sie noch kennt? …

„Du bist ein Gott, der mich sieht.“

So steht das im 1. Buch Mose im 16. Kapitel, Vers 13. 

Jahreslosungen, Wochensprüche und Tageslosungen verkürzen wunderbar reiche, biblische Geschichten auf einen einzigen knappen Satz. Da ähneln sich übrigens biblische Losungen und militärische Losungen. Wenn jemand eine Wache passieren will, dann heißt es: Parole? Und dann kommt die Losung, die Parole, kurz und knapp, meistens nur ein oder zwei Worte. Die Wache will keine Geschichte hören, sondern die Parole, die Losung. Und die beiden Truppenteile, die sich im Feld begegnen, die fallen einander nicht um den Hals und erzählen sich erst einmal aus den vergangenen Tagen und Stunden, sondern rufen sich knapp die Losung zu. Und so könnte auch die Jahreslosung als Parole dienen, um hier jeden Morgen das Schulgelände betreten zu dürfen: Parole? Antwort: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Manchmal lohnt es aber, auch die ganze Geschichte zu kennen und nicht nur ein knappes Sätzlein aus der Geschichte. So auch in unserem Fall. Die Jahreslosung „Du bist ein Gott, der mich sieht“ stammt eigentlich aus dem Munde einer Sklavin, die sich die Verachtung ihrer Herrin zugezogen hat und vor ihr in die schreckliche Einsamkeit der todbringenden Wüste geflohen war. In dieser Wüste erscheint aber ein Engel, er tröstet die verzweifelte Sklavin und verheißt ihr ein neues, glückliches Leben. Und in diesem Moment, in dem sich alles umgekehrt hat zum Guten, da sagt die Sklavin den Satz, den man uns als Jahreslosung ausgesucht hat:  „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Obwohl ich eine Sklavin bin, obwohl ich in die todbringende Wüste fliehen muss, hast Du ein Auge auf mich geworfen, hast mich gnädig angesehen und mir neues Leben geschenkt. Du bist keiner, der wegschaut, dem das Leiden, dem die Probleme der Anderen egal ist, Du schaust hin und hilfst mir: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Soweit ich weiß, saß in der Kommission, die diese Jahreslosung ausgesucht hat, niemand aus der Johanniter-Familie, niemand aus dem Orden, niemand von der Johanniter-Hilfsgemeinschaft, von der Johanniter-Unfallhilfe und schon gar nicht aus den Johanniter-Schulen. Und doch passt diese Losung kaum wie eine andere zu den Johannitern, denn der Gott, der hinsieht, spielt seit den Anfängen des Johanniterordens am Ende des 11. Jahrhunderts eine zentrale Rolle. Zu dieser Zeit wurde das Spital St. Johannis in Jerusalem gegründet. Die Johanniter sahen in den christlichen, jüdischen und muslimischen Kranken keine schwachen, armen Ausgestoßenen, sondern Herren, ihre Herren, ihren Herren. Sie sahen in den Kranken Herren, weil sie in ihren bleichen, abgemagerten und verzweifelten Gesichtern das Gesicht ihres Herren, nämlich das Gesicht von Jesus Christus erblickten. Das Gesicht des leidenden, gekreuzigten, sterbenden Christus. Gottes Gesicht für uns. Wer den Kranken hilft, der hat Christus und damit Gott selbst etwas Gutes getan.

Uns mag heute diese mittelalterliche Kranken- und Armenfrömmigkeit merkwürdig vorkommen, wenn Reiche und Adlige die Kranken und Ausgestoßenen zu ihren Herren machen. Aber die Jahreslosung hilft uns, uns auf den Johannitergeist an unseren Schulen zu besinnen. Gott ist ein Gott, der mich sieht: er sieht mich fragend an aus den Gesichtern der Menschen, die meine Hilfe brauchen. Er blickt mich dankbar an aus den Gesichtern der Menschen, denen ich helfen konnte. Gott ist ein Gott, der mich sieht: Er wirft seine Augen auf mich, wenn ich selbst Hilfe brauche, seine Augen in Gestalt eines Mitschülers oder einer Erzieherin oder einer Lehrerin. So, wie wir hinsehen, wird auf uns gesehen. Keiner ist außer Blick: das sollte die Losung sein für unsere Johanniterschulen. Das Christliche an unseren Schulen beginnt mit dem Blickkontakt. Du siehst mich, ich sehe dich und auch Gott ist ein Gott, der mich und dich sieht.

Es wäre gut, wenn wir diese Jahreslosung nicht vergessen: nicht in diesem und auch nicht im nächsten Schuljahr. Dazu gibt es erprobte Techniken, die kann man auch als „Kulturtechniken“ bezeichnen. Und damit bin ich bei dem Jahresmotto, das wir uns als Johanniter-Schulen in diesem Schuljahr gegeben haben. Kulturtechniken, dazu gehören Lesen, Schreiben, Rechnen, aber auch gemeinsam Mittag essen und Andacht feiern, dazu gehören Gespräche miteinander, beim Essen oder auf dem Schulhof. Ja, es ist eine Kulturtechnik, jemanden am Morgen freundlich zu grüßen und mit einem Lächeln im Gesicht anzuschauen. Christen sehen im Gesicht Jesu Christi den Gott, der uns sieht. Und dieses Gesicht begegnet uns wieder im Gesicht vieler Menschen, die uns ansehen. Auch wir können es auf unser eigenes Gesicht zaubern für andere Menschen, ob Schüler oder Lehrer. Wie ich finde: wunderbare Aussichten für das neue Schuljahr. 

Amen.


Anm.: Wesentliche Gedanken und Formulierungen aus Christoph Markschies, „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Geistlicher Impuls zur Jahreslosung, in: Johanniterorden, Heft 2, August 2023, S.2-3.